The days after – Oberelbemarathon 2015

Kaum war der Reisekoffer ausgepackt, wurde er erneut befüllt. Mit fast gleichem Inhalt, nur die advanced Variante. Ich habe ein paar Tage länger Zeit und Gelegenheit, meiner favorisierten Freizeitbeschäftigung nachzugehen.
Ich sitze im Flieger nach Madrid. Notwendig, will man die freien Tage, die ja fast mein Jahresurlaub sind, sinnvoll nutzen. Der Tag der „Arbeit“ ist auf deutschen Flughäfen ein Tag der Nichtarbeit und so habe ich an diesem keine Chance, das kleine Eiland im Atlantik zu erreichen.
Zwischenstop Madrid … ausschlafen und dann bin ich am Maifeiertag um die Mittagszeit auf der Isla Bonita. Der Schönen, wie sie gern genannt wird. Meine heimliche Liebe. Seit dem wir sie 2003 entdeckt hatten, wir sie eine Art stiller Rückzugsort. Nur 2 Personen unserer Familie „durften“ hier urlauben. Hotel, Finca, Zelt … Trekkingsrucksack waren die Stationen, bevor auch Ehefrau und Freund den heiligen Boden betraten.
Seit 2013, wir verfolgten die erste Austragung in 2009 noch aus der Wandererperspektive, ist sie nun mein Traildorado. Immer im Mai wird mehr oder weniger lange in den Atlantik geflogen, um die westlichste der 7 größeren Kanareninseln zu überqueren. Laufend, mit 2000 anderen Ultratrailrunnern (2000 Halbe und 1500 Marathonies folgen), geht es in aller Frühe vom südlichsten Punkt einmal quer über die Insel bis zur heimlichen Hauptstadt Los Llanos de Aridane.
Anfangs wurden 83,3 km zurückgelegt. Wie durch ein Wunder sind es heute nur noch 73,3. Bei gleicher Strecke. Aber was sind schon Distanzen. An die 4700 Höhenmeter sind hinauf und knapp 4100 Höhenmeter wieder hinab zu laufen, zu hiken, zu rutschen. Die Vielfalt des Laufuntergrundes sucht seines Gleichen.
In diesem Jahr nun gestaltete sich die Vorbereitung auf „meine“ Transvulcania etwas anders, als üblich. Neue Wege sucht der Trailrunner. Erstmals war es nicht er erste saisonale Höhepunkt. Bereits vor zwei Wochen überquerte ich das Tramuntanagebirge auf der Baleareninsel Mallorca. Erlebte dort meine längste gelaufene Distanz und auch Zeit.
Kaum waren die Nachwehen vorbei, oder auch nicht, ging es zum Traditionsmarathon nach Königstein. Bereits seit 2008 starte ich beim Oberelbemarathon. Nach zwei Halben folgten nun 6 Marathons. Ich glaube, es sind genug Asphaltkilometer an der Elbe gelaufen. Neu Perspektiven brauchts und vor allem weniger festgefahrene Wege in doppelter Hinsicht.
Eine leichte Erkältung plagte mich nach Mallorca. Ein erster Lauf am Mittwoch vor OEM oder 4 Tage nach dem Ultratrail bescheinigte einen doch recht guten Erholungseffekt. Lediglich der Schnupfen machte mir ein wenig Sorgen. Auch wenn der Marathon ein ruhiger werden sollte, ich hatte an eine 4 Stunden Lauf gedacht, so läuft man ihn nicht ohne Respekt.
So fühlte ich mich am Morgen des 26.April doch recht fit, an der Startlinie in Königstein stehend. Viel zu weit vorn hatte ich mich (mal wieder) eingereiht, um erst mal das bequeme, aber unangemessene Tempo zu rennen. Langsam kam ich auf ein vernünftiges Level zurück. Ich empfand es als schwühl warm. Regelmäßiges Trinken nach der Erkältung ein Genuss für die schleimhäute. Die 3-Liter-S-LAB-Vest leiste unaufällige Dienste. Bereits nach Querung der Bahnlinie hinter Wehlen (km 11,xx) war das beschwerdefreie Laufen vorbei. Es stimmte etwas nicht, denn bis zu diesem Zeitpunkt waren Kniee und auch die rechte Hüfte völlig unauffällig. Das sollte sich ändern.
Bis zum VP Obervogelgesang (km14) ereilte mich ein (nicht ganz) unbekannter Schmerz an der rec hten Oberschenkelaußenseite. War es ein Krampf, eine Überbelastung, ein kleines Zippellein. Irgendwas ist ja immer und so ignorierte ich den Schmerz, es würde sich weglaufen. Ganz klar, wie immer.
Als wir nach 17 Kilometern den Orsteingang von Pirna erreichten, war der Aufstand im Wasserglas zu einer nervenden Angelegenheit geworden. Die kleinen Anstiege, die bei der Stadtbesichtigung durch Pirna zu bewältigen waren, bereiteten keine wirkliche Freude. Alles lief sich noch so dahin. Ein paar Salztabletten hätte man aus dem Zielbeutes in die Laufweste packen können 😉
Kurz vorm VP an der Kanustation Pirna (km 20) wurde bereits gegangen. Der Schmerz war nicht mehr zu ignorieren. Ich musste irgendwas tun, fand aber kein Mittel. Nach guten 2 Stunden durchtrabte ich die Halbmarathonmarke. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir nicht vorstellen, noch 21 Kilometer bis ins Ziel zu walkjoggen. Massage, auch auf die böse Art, halfen nichts. Konnte man nicht wegen unmöglichem Laufstil aus dem Rennen genommen werden? Ich war irgendwie verzweifelt. Kriegte auch den Kopf nicht klar. Dachte ans Zugfahren, whatsapp-te meine Gedanken und fand so irgendwie zurück ins Motivationshoch. Nach 2:35 Stunden hatte ich gut 25 km geschafft. Hört sich erst einmal nicht so dramatisch an. Ich hätte schreien können vor Schmerzen, die durch keinerlei Körperhaltung verhinderbar waren.
Die Strecken, die ich laufend zurücklegte wurden kürzer als die gehenden Abschnitte. Erste Hochrechnungen über Ankunftszeiten wuren angestellt. Ich hatte ja Zeit. Besonders frustrieren, wenn dann der 4:40-er Bremsläufer an dir vorbei joggt und du nichts entgegenzusetzen hast.
Kopf aus … Ultramode … Plan C: Ankommen. Die Gedanken ans aufgeben verschwanden zum Glück wieder. An der Pillnitzer Elbfähre gab es mal wieder ein längeres Laufstück. Der Süffelstand bei km 31 wurde nach „Monden“ erreicht und ohne Kunstpause überlaufen. Konnte ja anderswo pausieren. Recht schnell kam dann das „Blaue Wunder“ in Sicht. Hier, bei km 34 gibt man nicht mehr auf. Ich lief zeitweise im Wechselschritt. Es war verrückt. Mittlerweile war ich in der Laufgruppe „Not und Elend“ unterwegs (ihr wisst, wie es gemeint ist?!). Meine pace unterirdisch. Dennoch wollte ich keineswegs über 5 Stunden im Ziel sein. Für mein Leistungsvermögen war dies keine Option. Kurz vor dem letzten großen Verpflegungspunkt kam ich ins Laufen. Ich musste unter 4:45 Stunden ins Ziel kommen. Die letzte Herausfoderung, der ich mich noch stellen konnte. Dies bedeutete mindestens ein 7 min/km Tempo zu laufen und das über die verbleibenden 4 Kilometer.
Viele Rücküberholungen fanden statt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Kommentar eines Läufers, der mich weit vor dem „Blauen Wunder“ überholte. Er sprach mich auf meinen Wanderstil an und das dies gar nicht gut aussehe. Sehr verkrampft und es wohl besser sei …. gab er mir zu verstehen.
Sein „ganz stark“, 3 Kilometer vor dem Ziel gab mir die notwendige Motivation weiter zu laufen. „Lauf und kein Schmerzen. Ich will nichts mehr hören von diesem Bein. Halt die Klappe. Lass mich in Ruhe meinen Marathon zu ende laufen und schweig!!!“
Ja, es wurde auch geflucht und motivierend laut gesprochen. Bei mir hilft so etwas. Und ich kam zurück. 6:40-er pace, 6:30-er pace wurde gelaufen. Am Kanaletto war klar. Ich werde es hin kriegen. Ich kann es schaffen. Keine überholte mehr, seit erst wenigen Kilometern. Lediglich ein Laufpärchen (Mutter und Tochter) versuchten auch die 4:45-er Zielzeit. Wahrscheinlich (aber hoffentlich nicht) erfolglos.
Am letzten Fotopoint, der Landtag lag bereits hinter mir, wurde sich schick gemacht. Mittlerweile empfand ich gelegentliche Hopser als Entspannung für die Muskulatur. Endlich konnte ich die Blechlawine hören. Das Stadion nicht mehr weit. Noch zwei Kurven und es ging ins „neue“ Heinz Steyer Stadion. Der Zieleinlauf war vorzubereiten. Ihr wisst. Zieleinlauf ist wichtig 😉
Ich drückte noch mal aufs Tempo. Was heute so eines war. 5:20-er pace zeigte die Garmin. Das sieht gut, da sieht es locker aus. Beim Zieleinlauf macht man sich noch mal grade, obwohl ich hätte scheien können. Es war einer meiner emotionalsten Stadionrunden beim OEM. Herrlich. Die letzte Kurve. Immer wieder checkte ich meine Uhr. Umspringen auf 4;44 Stunden. Da, endlich die Zieluhr. Es wäre so geil gewesen, die 4:44:44 Stunden zu erreichen.
Ach, Schaltfehler, wir hatten ja Bruttozeit. Das fiel mir aber erst nach der Ziellinie ein, die ich doch noch glücklich nach 4:44:57 Stunden (Brutto) überquerte.
Am Ende stand eine 4:44:43 Std. auf der Urkunde und auch der Gesamtplatz 666 sind irgendwie passend für diesen Marathon, den ich sicher nie vergessen werden. Nicht nur, weil es (momentan) der letzte Oberelbemarathon sein wird.
Auch Tage danach fühlte sich die Muskulatur sehr ungewohnt schmerzhaft an. An Laufen nicht zu denken. Statt dessen durfte die Physio sich meiner Blockaden und Verspannungen annehmen. Wieder nach einem Ultra nicht gleich grade rücken lassen. Fehler sind zum Begehen da. Manche muss man mehrfach machen, um endlich daraus zu lernen. Und auch der Testballon, den ich mit dem Marathon nach dem Ultra startete hat nicht so wirklich sein Ziel erreicht. Zumindest nach jetzigem Erkenntnisstand.
Morgen beginnend, werde ich die letzten Vorbereitungsläufe auf der Isla absolvieren. Die Stunde der Wahrheit. Ich werde berichten. Das tägliche Stenogramm auf meiner website wird euch auf dem laufenden halten. Na und ein paar Traumbilder werde ich auch publizieren, wenn ihr schon nicht hier sein könnt.
Bis dahin, euer stets dazu lernendes und immer knabberndes Nagetier 😉