Laufen in einer anderen Dimension: Courmayeur-Champex-Chamonix-2014 (CCC 2014)

29. August 2014 05:30 Uhr.

Ein Handywecker klingelt und es herrscht eine entspannte Stimmung im Chalet Beaumont in Les Houches. Nur drei Trailrunner bereiten sich auf ein verdammt langes und hartes Rennen vor. Alle anderen starten am Abend, dürfen „ausschlafen“ und sich auf die komplette Runde um das Mont Blanc Massiv vorbereiten.

Schnell ist das morgendliche „Vogelfutter“ verspeist. Ein türkischer Kaffee schnell aufgebrüht. Am Abend zuvor habe ich, nach bewährter Methode, alle Kleidungsstücke und Zubehöre auf der Sitzgelegenheit trapiert. So wird nichts vergessen oder zuviel angezogen.

05-09-2014 14-09-46Pünktlich starten wir nach Chamonix. Der Reiseweg ein kurzer, der Parkplatz ein bekannter und der Weg zum Startpunkt Bustransfer ein ernüchtender. Schnell sind wir am Spalier aufgestellt, die Freigabe durch den Chef de Absperrgitter erteilt und wir begeben uns auf dem Hinweg zurück zum Bus. Ich erhalte einen Platz in Reihe eins. Freie Sicht auf den 30 minütigen Transferweg durch den Mont Blanc Tunnel.

Ein etwas mulmiges Gefühl stellt sich ein, als uns im Einröhrentunnel Autos entgegenkommen. Mit genügend Abstand zum Vordermann und reduzierter Geschwindigkeit versucht man eine ähnliche Katastrophe, wie 1999 passiert, zu vermeiden. Hmmm.

Italienisches Flair nach 11 Kilometern Tunnelfahrt

Italienisches Flair nach 11 Kilometern Tunnelfahrt

Als wir Courmayeur erreichen wird klar. Es ist Laufwetter, es wird nicht regnen und es wird DER Lauf für uns alle drei. Uns drei, die CCC Starter unserer Laufgruppe aus dem Chalet Beaumont.

Schnell gesellt sich der Timo zu uns. Andere bekannte Gesichter tauchen auf. Auch der Roberto vom Fishermanstrail wird gesichtet. Die Zeit bis zum Start vergeht mit Unwichtigkeiten. Ehe man wirklich nervös werden kann „beziehen“ wir unsere Startblöcke. Für mich Startblock B … erste Welle. 1900 Läufer warten auf das Ende der „Volksreden“, und den Beginn des Rennens.

Es wird nur unverständlich gesprochen. Nicht ganz angemessen, für das internationale Starterfeld. Aber auch in diesem Jahr ist man ausgebucht … also kann ja nichts verbesssert werden müssen 😉

3 Nationalhymmnen und einen Vangelis Titel später setzen wir uns in Bewegung. Kurz zuvor der Countdown und wenige Augenblicke später passiere ich die Zeitmatte. Meine Fenix-2 wurde bereits vorher gedrückt. Die Sekunden und Minuten haben heute eine untergeordnete Bedeutung.

Es geht endlich zur Sache

Auf einer ausgedehnten Runde zeigen wir uns den Einwohnern der italienischen Bergortes. Und diese zeigen uns ihre Sympathie. Mit Rasseln, Glocken, Kuchenblechen und Fahnen. So werden wir begrüsst. Wir laufen moderat an, wie es sich für den Start eines tagesfüllenden Rennens gehört.

Minuten bis zum Start ... es kribbelt ... wir wünschen uns ein gutes Rennen. Es wird emotional.

Minuten bis zum Start … es kribbelt … wir wünschen uns ein gutes Rennen. Es wird emotional.

Langsam lassen wir die Häuser des Ortes hinter uns und schlängeln uns eine Asphaltstraße zum Trail hinauf. Schier endlos asphalten wir uns empor. (2 km, mehr waren es nicht) Erste Wanderer erwachsen aus dem Teilnehmerfeld. Ich trabe verhalten aber kontinuierlich. Die Erwärmung tut gut und die Muskulatur quittiert meine Bemühungen wohlwollend. Ich checke die üblichen Verdächtigen: linkes Knie und linker Fuß. Alles bestens, also alles, wie immer. Ein bissl zip und zapp gehört dazu. Man hörte die Flöhe husten, klar.

Endlich geht es in den Wald. Auf einer Forstpiste werden wir langsam an den Trail gewöhnt. Endlich geht es auf einen schmalen Singletrail. Das haben wir gewünscht und das bekommen wir jetzt. Immer wieder geht der Blick nach oben. Anfangs erfolglos, so wird nach wenigen bewaldeten Kilometern der Kopf in den Nacken gedrückt. Nach ersten moderten Anstiegskilometern gehts nun zur Sache. Bis km 10 werden wir von 1250 Metern auf knapp 2600 Meter aufsteigen. Wir sind frisch, es läuft … noch.

Nach wenig Abstieg kommt ganz viel Aufstieg - Trailrunning vom Feinsten

Nach wenig Abstieg kommt ganz viel Aufstieg – Trailrunning vom Feinsten

Tapfer wird gehiked, anfangs noch schnell. Doch die Luft wird dünner, die Steigung steiler. Bis zu 35% zeigt meine „Fenix due“ an. Es geht zur Sache. Es geht richtig zur Sache. Ich überhole erste Läufer. Immer mal muss einer stehen bleiben und nach Luft ringen. Andere verkürzen die Zwangspause mit fotografieren. Es wird schwer geatmet, im Läuferfeld. Der Kampf ums Ziel hat begonnen, hörbar.

Erste Fotos werden geschossen. Nicht aus Kraftlosigkeit sondern wegen dieser Einzigartigkeit. Es ist unglaublich … schön hier im Aostatal. Immer wieder erreichen wir ein Plateau, was das Ende das Anstieges glauben machen will. Doch hinter ihm geht es erneut hinauf. Das wiederholt sich stetig und sehr hartnäckig. Meine Beine spüren die Anstrengung. Meine Atmung wird intensiver, die Luft dünner. Auf 2560 Metern erreichen wir dann endlich den höchsten Punkt der Strecke. Berg eins von insgesamt 5 (gefühlt 6) zu erklimmenden ist bezwungen. Nur noch 90 km und 4700 Höhenmeter. Doch diese Gedanken ereilen mich nicht im Rennen. Ich bin froh, die gelbe Rettungskapsel zu sehen. Die Startnummern werden gescannt. Der Zustand abgefragt und es geht hinab …  ersterdownhill bis zum Erbrechen.

Hier hoch kommen übrigens nur die Teilnehmer des CCC. Höchster Streckenpunkt UTMB und CCC mit knapp 2600 Metern über NN.

Es ist toll hier oben aber auch kühl … also hinab. In 4 Kilometern wird der ersten VP erreicht. Kilometer 14 wird die Uhr dann anzeigen. Auf parallel verlaufenden Singletrails wird fleißig überholt. Jede will zeigen, was er kann und das er gut vorbereitet ist.

Aufstieg zum Téte de la tronche

Aufstieg zum Téte de la tronche

Ich hingegen starte verhalten. Zu verhalten? Ich sorge mich. Sorge mich um das linke Knie, das beim gehen spürbar „schmerzt“ jedoch beim Laufen klaglos seinen Dienst versieht. Auch im Downhill funktioniert es gut. Doch wie lange wird es gut gehen. Ich versuchen lange Schritte bergab zu vermeiden. Ich verkürze den Schritt und erhöhe deren Frequenz. Ja, ich bin langsamer, als meine Mitstreiter bergab. Zu dieser frühen Rennphase aber völlig zweitranging. Das Ziel ist klar. Auch eine Wunschzeit existiert. Doch ich checke nicht permanent die Zwischenzeiten. Laufe nach Gefühl, so „langsam“, wie ich es trainiert habe und es läuft gut.

Meine Osteopathin war sich sicher, das es nichts ernstes ist. Auch der Physio erkannte nichts schlimmes. Also würde es sich weglaufen. Sollten sie rechts behalten. Es blieb spannend

Was man aufschreibt, prägt sich besser ein.

Was man aufschreibt, prägt sich besser ein.

Mein Roadbook habe ich griffbereit unter die Spannriemen des Laufrucksacks geklemmt. Gerade in der Anfangsphase schaue ich des öfteren auf die Distanz zum nächsten Anstieg. Zuvor jedoch erreichen wir den ersten Verpflegungspunkt. Idyllisch gelegen, wie ich es erwartet hatte, wird an der Wasserstation alles angeboten, was man sich wünscht. ISO, Wasser und auch kleine Riegel und Schokolade. Ich fülle meine Trinkflaschen nach, schnappe ein paar Leckereien und folge dem Singletrail zum nächsten Hügel hinauf. Schnell ist die erste Verpflegung verlassen. Die nächste folgt in Kürze … in 7 Kilometern. Mein nächstes Laufziel ist dieser Fressstand. Kein Gedanke an die Enddistanz. Ich denke von Punkt zu Punkt. Es gelingt perfekt.

VP1 Refuge Bertone (1992m)

VP1 Refuge Bertone (1992m)

Sieben Kilometer später wird erneut gefuttert. Bis dahin, das Wetter ein traumhaftes, heißt es in den Rhythmus finden und Berge glotzen. Ein Panorama, wie es im Bilderbuch steht, macht das Laufen zum Genuss. Trailrunning in Reinkultur steht auf der Tagesordnung. Meine Herzilein hüpft. Ich vergesse den Wettkampfcharakter. Ich bin im Rennen …

Nach Roadbook geht es stetig bergab. Was allerdings relativ zu betrachten ist. Man kann wellig zu dem Laufprofil sagen. Zu diesem frühen Rennzeitpunkt keine große Anstrengung … Das sich dies ändern wird, im Verlaufe unseres Tagesausfluges ist allen klar. Momentan jedoch wird fleißig aufs Gas getreten, meist jedenfalls.

Das Läuferfeld hat sich entzerrt. Das aufeinanderlaufen ist vorbei. Aus diesem Grund auch die große Schleife Auf den Téte de la Tronche. Auch die Vielzahl der parallel verlaufenden Singletrails lässt wahre Lauffreude aufkommen. Weniger erfreut bin ich, als ich am VP2, das Refuge Bonatti ist nach kurzem, knackigen Anstieg erreicht, eine 15 minütige Zeitstrafe erhalten soll. Beim gerade rücken der Startnummer hätte ich mit meinem auspendelnden Stock einen Läufer hinter mir verletzen können. Weit und breit keiner zu sehen? Schade. Ich muss wohl sehr verzweifelt ausgesehen haben, sodass es bei einer Verwarnung blieb.

Es war Suppenzeit ... erstmals hier. Und es zog ein leichtes Regen auf

Es war Suppenzeit … erstmals hier. Und es zog ein leichtes Regen auf

In Folge achtete ich penibel auf meine „Stockarbeit“. Sicher berechtigt, wenn auch überraschend. Ich musste also nicht auf die „stille Treppe“ und und gab mich stattdessen der Verpflegung hin. Erstmals entdeckte ich die leckere Nudelsuppe, die ich mit reichlich Salz versah. Sie sollte die Leibspeise des Tages werden. Nach ausreichenden Trinken, auffüllen der Trinkflaschen und „Gang übers Büffett“ war ich auch schon wieder on the road. Der Himmel hatte sich zugezogen und es begann zu nieseln. Ich zog noch vor dem Aufbruch die Minimus an. Ein paar Minuten waren wir ja noch unterwegs, bis wir das Ziel in Chamonix erreichen sollten.

Der folgende Streckenverlauf war ein Traum. Es downhillte fast durchgängig. Immer weniger Läufer waren auf dem Trail. Auf einem herrlichen Pfad, der den Blick auf den großen weißen Stein frei gab. Ich checkte alle aufsässigen Körperteile. Alles fühlte sich unverändert an. Man war das ein Hochgefühl.

Wenns oben freut, tuts unten nicht mehr weh.  Traumblicke ließen viele Schmerzen vergessen.

Wenns oben freut, tuts unten nicht mehr weh.
Traumblicke ließen viele Schmerzen vergessen.

Immer wieder „traf“ ich auf Läufer, deren Erscheinung mir schon mehrfach auffiel. Andere überholte ich erstmals. Es drang Musik vom Tal zu uns hinauf. Der erste große VP sollte nicht mehr weit sein. „ARNUVA“ sein Name und nach ihm folgte der Anstieg auf den zweite Zweieinhalb Tausender, den „Grand col Ferret“. Zuvor ging es aber erst einmal 300 Höhenmeter ins Tal. Der Anstieg muss ja standesgemäß sein. 😉

Mont Blanc Massiv ... immer im Blick

Mont Blanc Massiv … immer im Blick. Unser Aufstieg, mal wieder einer der scheinbar endlosen.

Jubelnd wurden wir bereits lange vor dem großen, weißen Zelt begrüßt. Man lebte UTMB und zeigte das auch. Der Downhill dadurch viel zu schnell. Na gut, schneller. 🙂

Wenn man mal was braucht, ists nicht da

Im Zelt dann erste Verwirrung. Wo sind die Becher? Keine da. Erstmals musste der eigene bemüht werden, der nur durch absetzen des Rucksacks erreicht werden konnte. War angekündigt, mir aber entfallen. Meine Stöcke blieben (unbewusst) auch gleich am Zelteingang stehen. Wieder folgte das obligatorische Ritual:

– 2 Cola trinken,

– einmal übers Buffet futtern,

– Flaschen auffüllen,

– Nudelsuppe fassen und so schnell, als möglich auffuttern,

– auf dem Weg hinaus noch mal übers Buffet gehen.

Jetzt erst bemerkte ich den Stockverlust. Ohne diese für mich undenkbar, das Rennen zu meistern. Ich erinnerte mich und fand sie am Zelteingang wieder. Puhhh. Hier kommt nichts weg.

Kurz vorm Rennen, während des letzten Abschlusstrainings, waren meine bewährten Stöcke noch kaputt gelaufen worden. 😉 Ich musste sie gegen die neuen Black Diamond ersetzen. Eine Spitze hatte sich in ihr inneres zurückgezogen. Die neuen waren leichter, hatten mehr Grip und unterstützten merklich. Guter Kauf!

Frisch gestärkt verließ ich die behagliche Herberge. Immer noch hatte ich keine Laufzeit gecheckt, bewusst. Dennoch sagte mir die Zwischenzeit pro Kilometer, das ich im gewünschten Zeitraster unterwegs sein müsste. Am Verpflegungspunkt verbrachte ich meist 5-7 Minuten. Eine Ewigkeit für meine Verhältnisse. Aber die Aufgabe eine große und der Energieverlust ebenso. Somit war die Vernunft erste Bürger-, ähh Läuferpflicht.

Jubelnd wurde ich verabschiedet. Es ging über einen kleinen Gebirgsbach hinauf zum richtig fetten „Grand col Ferret auf 2522 Meter. Immer musste zwischen traben, speedwandern und einfach nur weiterbewegen gewechselt werden. Ich spürte genau, wenn die kritische Höhe überschritten und die Luft dünner wurde. Dennoch empfand ich kein Schwindelgefühl, wie es noch bei den ersten Trainingsläufen um Chamonix der Fall war. Ich überholte und wurde überholt. Das ewige Spiel setzte sich auch hier fort.

Es überwog jedoch der Eindruck, schneller, als mein läuferisches Umfeld unterwegs zu sein. Das beflügelte, berühigte, machte sicher und gab Zuversicht. Zuversicht, die ich unbedingt brauchte. Die in diesem Rennen angepeilte Distanz war keine fremde. Die zu absolvierenden Höhenmeter schon. Über 6000 Meter im Anstieg und herunter ging es noch einmal so lang, wir, tief. Dazu das Laufen auf engen Pfaden, auf Geröll, später im Schlamm. Das war völliges Neuland für mich. Auch die Dunkelheit würde ich nicht verhindern.

Zunächst aber stiegen wir hinauf, hinauf auf Berg Nummer zwei und mental galt für mich, dass es danach einfacher werden würde. Klar, das ganze Gegenteil würde es werden. Doch vorerst funktionierte die Manipulation und ich stapfte tapfer bergan.

Aufstieg Grand col Ferret. Immer wieder gingen die Blicke zurück. Ein Traum von Landschaft.

Aufstieg Grand col Ferret.
Immer wieder gingen die Blicke zurück. Ein Traum von Landschaft.

Der Anstieg etwas moderater, als der erste. Aber nicht weniger „zerstörend“. Es kam einfach kein Ende in Sicht. Die angedrohten 850 Höhenmeter wurden an diesem Berg abgerufen. Endlich. Fotografen kamen in Sicht. Dies deutete auf das Ende des Anstieges oder eine besonders anspruchsvolle Passage hin. Hier war es ersteres. Meine Fenix zeigte 2400 Meter an. Nur noch knapp 100 Meter Höhe gewinnen, die sich auf 2 Kilometer verteilten. Entspanntes Joggen war angesagt. 😉

Immer tapfer hinauf. Alle durften das Gleiche erleben.

Immer tapfer hinauf. Alle durften das Gleiche erleben.

Ich konnte die Rettungskapsel und das Notzelt lange vor ihrem Erreichen sehen. Das entspannte, machte sicher. Einfach Schritt für Schritt zum Ziel. Es funktionierte tadellos. Als wir den Sattel erreichten, speicherte die Laufuhr den 33. Kilometer. Etwas mehr, als im Roadbook. Die Genauigkeit hatte ich allerdings auch reduziert, um die Laufzeit der Zwiebel zu verlängern (ich Schelm).

Sichtbar erleichtern. So erging es wohl jedem hier oben.

Sichtbar erleichtern. So erging es wohl jedem hier oben. So einfach kann man ein Lächeln ins Gesicht zaubern

Wir hatten es geschafft. Freundlich wurden wir in der jeweiligen Landessprache begrüßt. Die Fahne auf unserer Startnummer machte es leicht. Wieder erfolgte ein Scan der Startnummer. Auch der obligatorische Blick ins Gesicht. Unbewusst wahrgenommen. Ich sah offensichtlich gut aus. Wie man so aussieht, nach 850 hm Anstieg :-).

EIN TRAUM von AUSBLICK Grand col Ferret  (2522m) Die kleinen Häuser sind der VP 4 in Arnuva auf 1771 Metern üNN

EIN TRAUM von AUSBLICK
Grand col Ferret (2522m)
Die kleinen Häuser sind der VP 4 in Arnuva auf 1771 Metern üNN

Der Ausblick von hier oben machte alle Strapazen vergessen. Sooo weit war es ja auch nicht mehr. Immerhin schon das erste Drittel in den Beinem und Emotionen und Eindrücke für Wochen gesammelt. Beim Fotografieren, ich hatte das kleine Samsung in der oberen, vorderen Tasche des Laufrucksacks deponiert, schaute ich erstmals auf die Zwischenzeit. Eher war es die Uhrzeit auf dem Display des Smartphones. Ich war bereits sechs Stunden (und 6 min) unterwegs. Unglaublich, wie schnell ich dennoch unterwegs war. Hochgerechnet und den Ermüdungsfaktor dazu könnte die Zielzeit real werden.

Immer wieder erhabend, ganz oben zu stehen und es aus eigener Kraft geschafft zu haben.

Jeder Uphill will auch wieder hinunter und so galt es jetzt, verletzungsfrei nach Champex-Lac zu kommen. Dem nächsten großen Fresszelt, das ich bei km 52 erwartete. Zuvor gab es noch ein „kleineres“ in La Fouly. Dieses sollte zur ersten Marathondistanz erreicht werden. Es musste von hier ober an die 8 km sein, dann noch weitere 10 bis Campex-Lac. Meinem Mentalpunkt für die Hälfte des Rennens. Auch hatte ich von dort mit André und Uwe bereits einen Trainingslauf absolviert. Das macht sicher und hält die Erwartungen auf einem erträglichen Niveau.

Der Downhill lief perfekt. Kleine kurze, muskulaturschonende Schritte brachte mich dem Tal näher. Das Wetter ein traumhaftes. Strahlender Sonnenscheint. Meine Armlinge durften den weiteren Rennverlauf am Handgelenk verbringen. Auch die Laufmütze wanderte an den Startnummerngürtel. In diesem war bereits der Faltbecher verwunden. Ein wunderbares Teil, das mit einem Deckel verschließbar trinken im Laufen ermöglichte. Typ: Schnabeltasse 😉

Immer wieder schaute ich auf die Laufuhr und schätzte die Zeit, die wir noch bis zum ersten Marathon brauchen würden. Mittlerweile hatten sich kleine Laufgruppen gebildet, die doch recht konstant miteinander unterwegs war. Immer wieder tauchte ein Patrick vor mir auf. Ein kleiner drahtiger Franzose, der offenbar ganz gut mit mir tempoharmonierte.

Fast 1500 Höhenmeter sollten wir ins Tal gelaufen sein, ehe wir La Fouly erreichten. Die Sonne schien ohne Unterlass. Die Regenperide nur eine minütliche. Wir querten einen Fluss, dem wir (gefühlt) im weiteren folgen sollten. Eine Asphaltstraße wurde erreicht und es wurde wieder gejubelt, applaudiert. Hände wurden uns entgegengestreckt und nicht nur von Kindern, aber besonders. Es war ein sehr erhabenes Gefühl, dem nächsten VP entgegenzulaufen. Eine Rennetappe neigte sich dem Ende und alles war perfekt. Wetter, physischer Zustand, Laufflair. Auch downhill war angesagt und man konnte mal wieder frei und kontinuierlich laufen.

Muss man hier laufen? Man muss hier laufen. Soooo schön.

Muss man hier laufen? Man muss hier laufen. Soooo schön.

Hier steppte der italienische Bär. Fressstation La Fouly. Die tiefste Punkt der Strecke lag noch vor uns.

Hier steppte der italienische Bär.
Fressstation La Fouly. Die tiefste Punkt der Strecke lag noch vor uns.

Im Zelt herrschte dann Anspannung und Ruhe. Alle rutualten vor sich hin. Seinen eigenen Ablauf hatte mittlerweile jeder gefunden.

Im Zelt herrschte dann Anspannung und Ruhe. Alle rutualten vor sich hin. Seinen eigenen Ablauf hatte mittlerweile jeder gefunden.

Schnell waren die Wichtigkeiten erledigt. Ich verbrachte zwischen Eingangsscan und Ausgangsscan ganze 7 Minuten hier. Ja, die Wasserbehälter spendeten langsames Wasser und die Nudelsuppe brauchte ihre Zeit, bis sie mir neue Kraft spenden konnte. Unter dem Applaus der Zuschauer verlief ich das Zelt. Hier stellte ich ernüchtert fert, dass es noch 14 Kilometer bis Campex-Luc waren. Gut. Ich konnte es nicht ändern und ich „halbierte“ die Distanz durch eine geplante GEL-Pause.

Wir liefen zunächst stetig bergab. Der unspektakulärsdte Teil der ganze Strecke. Eine Schotterpiste neben DEM Fluss führte uns immer weiter abwärts. Erschreckend weit hinab. Die Fenix wurde fast dreistellig, in der Anzeige der aktuellen Höhe. Wir gruppierten uns wieder und liefen im Gänsemarsch nach Praz de Fort hinunter. Einem kleinen Dorf. Wir erreichten es im leichten Nieselregen. Zu wenig für die Regenjacke jedoch zuviel um ihn zu irnorieren. Die aufgesetzte Laufmütze vermittelte ein regenfreies Gefühl. Bis Champey-Lac sollte ich ohne Regenjacke durchhalten.

In Praz de Fort gab es erstmals wieder Kontakte zu den nichtlaufenden Teilnehmern. Kindern standen am Straßenrand und hielten uns ihre Hände entgegen. Mütter schwangen die Kuhglocken und Gaststättensitzen klatschten ehrlich. Auch ein spontaner Kaffeestand war errichtet. Ich verspürte jedoch keinen Bedarf, winkte freundlich und folgte dem Weg nach Kilometer 57 im Zelt.

Irgendwann wechselte ein GEL vom Rucksack in den Mund. Die verbliebenen in die Taschen des Startnummernbandes. Irgendwas ist ja immer. In diesem Moment versagte ein Reißverschluss der Laufweste seinen Dienst. Rechtzeitig bemerkt konnte Nahrungsverlust verhindert werden. 😉

Nachdem wir einen weiterem Ort, dessen Namen ich vergessen, auf einem Verbindungsweg passiert ging es entlang einer Hauptstraße zum nächsten Anstieg hinüber. Diesem Aufstieg hatte ich irgendwie gar nicht im Plan (Kopf) Auf dem Roadbook schon. Doch dieses war siegessicher in den Rucksack gewechselt. Entsprechend überrascht sockte ich die folgenden 500 Höhenmeter zum Fresszelt hinauf. Der Regen nahm zu. Wir jedoch wechselten in den schützenden Wald. Der VP war weithin zu hören, wurde dennoch ewig nicht erreicht.

Ich kannte den Ort vom Trainingslauf. Wusste um die exponierte Lage über dem Ort und hatte auch die Streckenänderung danach, per Mail erhalten, auf dem „Faden“. Immer wieder fasste ich an die Hose. Nein, sie war nicht nass. Ich wollte die Laufjacke erst in Champex-Lac anziehen. Aber es half nicht. Es regnete zu ergiebig. Die Jacke musste an.

Schnell war auch das erledigt. Eine Läuferin überholte mich, bevor sie einen persönlichen Fan traf, der sie mit Transparent begleitete. Ich heftet mich an ihre Fersen. Doch konnte nicht wirklich folgen. Ich war ein wenig angefressen, dass ich mich auf den Anstieg nicht (mental) vorbereitet hatte. Das Überholen einiger Läufer im Uphill beflügelte mich. Die letzten paar hundert Meter ab der Straßenquerung joggte ich unter dem Beifall vieler Zuschauer ins Zelt hinauf.

Es war geschafft. Meine mentale Hälfte war erreicht. Es war noch hell und ich hoffte lampenlos den nächsten Fressstand, ganze 17 (!!!) Kilometer entfernt zu erreichen. Es klingt viel. Aber durch den Testlauf hatte ich Streckenkenntnis. Ein ungeheuerer Vorteil.

Grand col Ferret

Grand col Ferret

Im Zelt hingegen wieder das Ritual. Acht Minuten habe ich verbracht. Irgendwas habe ich mit der Regenjacke gemacht. Entweder habe ich sie im Zelt ausgezogen oder kurz danach. Die Erinnerungen schwinden. Erstmals während des gesamten Rennens schaute ich auf die Renntafel. Nach passieren der Eingangskontrolle wurde hier die aktuelle Laufzeit, sowie Platzierung Alterklasse und total auf einem 42 Zoll LCD angezeigt.

Ich war positiv überrascht, dass ich für die ersten 57 km unter 10 Stunden geblieben war. Eine Zeit unter den geplanten 20 Stunden schien realistisch. Doch die Wetterprogrosen versprachen Dauerregen ab 17:30 Uhr und das für 4-5 Stunden. Ich hatte noch 3 fetten Berge vor mir und besonders der Abschlussanstieg nach Téte aux vents war eine einzige Kletterei.

Ich verließ das erlösende weiße Zelt von Champex und lief an seinem LAC zur bekannten Strecke, die am Parkplatz Ortsausgang begann, hinüber. In der Hand den Faltbecher mit Energie spendender Cola. Es regnete ohne Unterlass. Der Spaß war vorbei. Zu gucken gab es auch nix. Allerdings blieben die Anfeuerungsrufe der Spazierenden nicht aus.

Die Streckenänderung griff gleich hinter dem Parkplatz. Wir liefen nicht idyllisch durch den nächsten Ort mit seinem saftig grünen Wiesen und dem kleinen Fluss hindurch, (bekannt vom Trainingslauf) sondern kieselwegten durch den Wald. Umliefen das kleine Paradies auf unspektakulärer Route. Man fühlte sich ein bissl auf dem Schotterweg in der Sächssichen Schweiz.

Wir kehrten kurz vor einer Schranke auf die Originalroute zurück und dann begann er, der Aufstieg auf den Bovine. Mehrere Flüsse querten unseren Weg, die gekonnt übertippelt werden sollten, wollte man nicht schon hier die nassen Füße bekommen. es wurde nebliger, je höher wir kamen. Auch die Dunkelheit brach langsam herein. Ich verlor in der nebligen, dämmrigen Umgebung jegliches Zeitgefühl. Lediglich die Fenix meldete sich nach jedem Kilometer und bescheinigte: Ihr da, ihr seid recht langsam unterwegs. Mir war es Wurscht. Ich musste auf 2000 Höhenmeter aufsteigen, soviel war klar und auf der Weg war bekannt.

Intuitiv programmiert sollte es passen???

Intuitiv programmiert sollte es passen???

Als wir endlich die Hochebene erreichten, war die Dunkelheit über uns hereingebrochen. Mein Blick wechselte von voraus nach hinten. Keiner hatte eine Lampe eingeschaltet. Doch bis Trient war es zu weit ohne Beleuchtung und auch der Downhill war nicht ohne Lampe machbar. Der Regen wurde stärker. Ich musste mich für die sichere Weiterreise fertig machen und  hielt am nächsten größeren Stein inne. Ein paar Stöcke wurde an den Orientierungspunkt gelehnt (und auch wieder mit genommen 😉 ). Schnell war die Regenjacke übergeworfen und die Lampe auf der Laufmütze fixiert. Erstmals mit der „Petzl NAO“ wettkampfmäßig unterwegs musste ich erst ein paar Erfahrungen sammeln.

Nachdem wir ein paar Kühe umlaufen hatten, die offensichtlich auch nicht mit dem glatten Untergrund klar kamen, gings über die weglose Wiesen, wohl eher ein Acker, der mir noch vom ersten Laufen hier bekannt war. Es war mittlerweile stockdunkel. Die NAO hatte im reaktiven (sensorgesteuerten) Modus Probleme mit dem Regen und dem Nebel. Somit entschied ich irgendwann, die Dauerlichtstufe 2 zu verwenden. Mir war klar, dass ich so nur für knapp 6 Stunden Licht haben würde. Ersatzlampe und Batterien waren jedoch als Teil der Pflichtausrüstung im Rucksack. Es konnte als nichts Schlimmes passieren.

Das vermeintlich dickste Brett ist zersägt.

Als wir endlich den „Berggipfel“ erreichten, 2032 Höhenmeter sagt die Fenix (noch), gab sie ein verschmitztes „Batt. schwach“ von sich. Na das hatte ich nun mal nicht erwartet, waren doch gerade einmal 70 Kilometer gelaufen. Ein GEL wechselte wieder mal ins Körperinnere. Ich hatte jedoch meinen Laufrhythmus gefunden. Ob mit oder ohne Uhr. Man soll sein Läuferglück nicht an Geräte hängen. Und schon gar keinen Ultratrail, der seinen Namen wirklich verdient hatte.

Es regnete mittlerweile ganz ergiebig, glaube ich mich zu erinnern. Zuminderst war es sau glatt und schmierig im Abstieg und ich war froh, die Stöcke dabei zu haben. Muskulär ging es mir gang gut. Immer noch nahm ich Rücksicht auf die zickigen Körperteile. Noch. Doch meine Osteopathin sollte recht behalten. Es würde sich nicht verschlimmern. Alles lief recht ordentlich. Die pace aufgrund des Dauerregens und der notwendigen Vorsicht eine reduzierte. Aber damit hatte ich gerechnet und ich war mental recht stabil.

Irgendwann bei km 71, es muss in La Giete gewesen sein, wurden wir erneut gescannt und es gab nur Wasser. Die Helfer standen im Zelt, die Wasserkanaister hingegen im Dauerregen. Weniger schön aber nicht zu ändern. Nur mal so. Gab ja sonst nichts, aber auch gar nichts zu meckern. Nach dem Wassern ging es etwas weglos durch eine nasse Wiese. Die Füße waren nun komplett durchfeuchtet. Blasentime war angesagt. Es war nur eine Frage der Zeit. Ich hatte natürlich Zaubercreme aufgetragen. Doch diese hatte sich mittlerweile sicher verflüchtigt. Man sollte sich etwas Nachschub in den „Tornister“ packen. Next one.

Als wir endlich die bekannte Straße erreichten gab es auch wieder Bewunderer und Applaudierer. Besonders nachts tut das so gut, ein paar aufmunternde Worte zu hören. Wir waren mittlerweile wieder in der Schweiz unterwegs. Ein kleine Hütte mit gehisster Schweizer Fahne und „Oh Allemane“ Begrüßung ließ keinen Zweifel aufkommen.

Mit einer weiblichen Laufbekanntschaft nahm ich den Abstieg nach Trient. Man war das ein Gerutsche. Der Weg nicht immer eindeutig, da die „Abkürzungen“ meist breiter, als der reguläre Weg. Auf diesen dann der Regen präsenter, als der Schlamm.

Wir erreichten endlich Trient. Als ich am nächsten Tag unserem UTMB-Starter dort begrüßte, hätte ich schwören können, völlig anders gelaufen zu sein. Nachts, im Regen erscheint eben alles besonders.

In Trient dann endlich der vermutete Fressstand, der auf meinem Roadbook fehlte. Doch wusste ich von dem Zelt, der Uwe hatte es während der Vorbereitung erwähnt. Ich war wirklich froh, ein paar Minuten unterschlüpfen zu können. Schnell war das Versorgungsritual erledigt. Ein paar Minuten sitzen auf der Bank taten gut, wenn auch die Verweilzeit 10 Minuten betrug. Es war jetzt dunkel, wie im …, nass und kalt.

Aber auch nur noch 11 km bis Volocine, dann noch mal 11 bis Le Flegre und dann noch noch Downhill ins Ziel.

Erstmals dachte ich an die Enddistanz. Von Valocine war es nur ein kurzer Weg bis zum Col des Montets. Von hier hatten wir unseren letzten Trainingslauf im Dauerregen absolviert. Ich kannte dieses Teilstück. Wie bereits erwähnt half mir das ungemein. Ein Gefühl von: das kann ich und das ist überhaupt kein Ding stellte sich ein. Der Kopf funktionierte noch 😉

Zunächst aber ging es von Trient stetig began. Es hatte sich nun richtig eingeregnet. Auch im Wald drang der Regen durchs schützende Blätterdach. Die Fenix wies in regelmäßigen Abständen auf ihr nahendes Ende hin. Ne, ne, ne. Auf die Technik ist eben kein Verlass. Doch mir wars egal. Zielszenarien gingen mir durch den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich bereits unterwegs war. Aber war aber siegessicher und optimistisch, noch.

Der endlose Anstieg zum vorletzten 2000-er zog sich, wie bekannt, wie Kaugummi. Nur wenige Lampen waren vor mir. Dennoch konnte ich ein paar wenige hinter mir lassen. Ich stiefelte wie ein Uhrwerk den Berg hinauf. Die Fenix zeigte noch tapfer die wichtige Information an. Irgendwann, nachts im Regen, wurde es verdammt windig. Es wurde kalt und der Regen trommelte graupliger auf die Kaputze der Minimus.

Der Blick auf den Höhenmesser zeigte 1900 hm an. Ich war fast oben und überlegte, die wasserdichten Handschuhe anzuziehen. Man war mir kalt an den Händen. Aber ich wollte hier oben, auf freiem Feld, nicht im Rucksack rumfrickeln. Ich glaubte zwar zu wissen, wo sich sich in meiner 5 kg schweren Pflichtausrüstung befindet, doch wagte ich nicht die Überprüfung. Wir umrundeten (fühlbar) den Gipfel. Ein Lagerfeuer kam in Sicht. Der höchste Streckenpunkt wurde erricht. Die Startnummer wurde gescannt. Ein riesen Kompliment an die Helfer, die hier oben, der Catalogne wurde umrundet, ausharrten.

An der Rückseite des „Hügels“ ging es wieder hinab. Wir befanden uns im Windschatten. es wurde langsam wieder wärmer. Dafür war der Singletrail eine Mischung aus Flussbett und Schlammpfad. Eines von beiden war immer vorhanden. In Kombination eine besondere Herausforderung. Meine Trainingsläufe über nasse, schlammige Felder kamen mir in den Sinn. Hier war oberste Vorsicht geboten. Die Verletzung der Fußgelenke lag in der Luft. Ich konnte auf eine Gruppe auflaufen. Wieder gabs ein außerordentliches GEL. Das vierte und letzte sollte es sein. Wir erreichten die Seilbahnstation von VALLORCINE an ihrem scheinbar höchsten Punkt. Ein Forstweg sorgte kurzfristig für Entspannung. Die Beine wurde gelockert und die Aufmerksamkeit konnte ein wenig nachlassen. Kleine Pfützen wurden zu Seen. Ein umgekippter Baum sorgte für eine Unterholzpassage.

Die Fenix hatte bei km 81, der vorletzte Gipfel war gerade passiert, die Augen zugemacht. Jetzt war laufen nach Gefühl angesagt. Doch das tat ich bereits seit mehreren Stunden. Die gespeicherten Kilometerzeiten waren marginal. Hier ging es nun um verletzungsfreies Ankommen. Die Schuhe quietschten nicht mehr. So waren komplett voll mit Wasser.

Bergeln ohne Ende

Bergeln ohne Ende

Langsam gab es Unruhe in der Innensohle meiner Schuhe. Scheinbar war sie in den Zehenbereich gerutscht. Ein Gefühl von nassem Strumpf, der an den Zehen zusammengeschoben war, beherrschte die Lauflinge. Ich wollte jedoch im strömenden Regen keine Schuhkorrektur. Das letzte große Fresszelt konnte doch nicht mehr weit sein?

Sommerrodelbahn Vallocine

Wieder waren wir in einer Gruppe unterwegs. Wir rutschten gemeinsam dem letzten Mentalpunkt entgen. Von dort war es nur noch ein Katzensprung, so mein Glaube. Ein Blick ins Roadbook hatte Aufschluss gegeben.

Ich war jetzt richtig im Eimer. Dieses Gerutsche und gepfütze ging an die Substanz. Ich musste meinen Kopf klar kriegen. Die Anspannung war riesen groß. Ich wollte hier im Downhill, nass und dunkel, keinen Sturz riskieren. Wann kommt denn endlich dieser verflixte VP. Im nachhinein betrachtet, war 10 Läufer an mir vorbei geflitzt. So ists #OnTrail.

Da unten. Lange vorher konnten wir ihn sehen. Nur noch geschätzte 200 hm und es gibt Nudelsuppe und Schuhe ausziehen und Cola trinken … Immer schön aufpassen, redete ich mit mir. Fall jetzt bloß nicht aufs F… brett.

Der letzte Abstieg über eine Wiese brachte uns dem Ziel rasend schnell näher. 😉 Auf dem schlammigen Singletrail gab es kein halten mehr. Mehrere Vorläufer rutschen einfach davon. Erste Stürze. Man war das ein Downhill. Augen auf! Wir wichen auf die nasse Wiese aus. Hier gab es noch Grip, mehr Grip als auf der Sommerrodelbahn rechts neben unserem „Weg“. Meine Fußsohlen hatten sich fühlbar aufgelöst. Diese 100 hm waren soooo anstrengend. Ich war … reif für eine Pause.

Endlich hinein ins Zelt. Am Eingang gleich der Timo, ihn trafen wir am Start in Courmayeur, der mir sein DNF mitteilte. Das baut auf 😉 Er hatte Blasen und wollte seine Gesundheit nicht riskieren. Hmmm. Jeder ist seines Glückes eigener Schmied. Blasen zählen bei mir ja gar nicht und … Sicher eine vernünftige Entscheidung für ihn.

Ich hingegen suchte mir eine freie Bank. Hier war es recht belegt. Schnell die Nudelsuppe, Cola, den leckeren Käse und die ober leckere Salami verspeist bevor ich mich an meine Füße mache. Nein, ich werde die Socken nicht ausziehen.

Die Schuhe waren ein einziger Schlammklumpen. Mit Mühe konnte ich die Verschnürung lösen, die Sohlen rausholen, auswringen und wieder ordentlich reinlegen. Das geleiche Prozedere an Laufling rechts. Schnell noch die schlammigen Hände ans Bein geschmiert, noch eine Salamischeibe genascht und auf zum Ausgang. Der Timo wünschte mir noch einen guten Lauf und sagte, dass der Mathias vor 10 min hier durch ist. Was?

Ich gab Gummi. Mathias 10 Minuten vor mir. Na dann kann ich sooo langsam nicht sein. Ich verließ das Zelt laufend und sockte an allem vorbei, was wanderte. Die gut 3 Kilometer bis zum Col des Montets war ich meist am rennen. Keiner, den ich überholte sah dem Gesuchten ähnlich. Wie ich später erfuhr, hatte ich keine Chance. Auch mein Verfolgter bekam hier die zweite Luft.

Am Col dann das obligatorische Scannes der Startnummer. Nun noch einmal auf 2100 Meter Höhe hoch. Knapp 600 hm, einmal quer laufen und der Downhill. Weit konnte es nicht mehr sein. Mein Kopf war wieder falsch programmiert. Im Aufstieg merkte ich es deutlich. Dieser letzte Anstieg ist dann auch die Kröhnung der ganzen Runde. Schöne Kletter- und Sprungpassagen geben dir dann noch einmal die letzte Ölung. Irgendwann, nach endlosem Geklettere und Gesteige erreichte ich den Téte aux vents, wieder wurden wir gescannt und es ging hinüber zum letzten Süffelstand nach La Flégére. Weit sichtbar aber nur mühseelig kommt man näher. Viele Kletter- und Steigestellen lassen die pace ins bodenlose fallen. Egal. Ich lief auf eine lange „Perlenkette“ auf, die nicht überholt werden konnte. Zum Glück vielleicht. Ein Sturz hier ist das sichere Aus. Endlich wurde die breite Piste zur Seilbahnstation erreicht. Man konnte wieder überholen, man konnte rennen.

Ein letzter finaler Anstieg und es geht nur noch nach Hause. Den letzten Scan der Nummer am Eingang ins Zelt genoss ich (sicher) sichtlich. Schnell wurden noch einmal die Flaschen aufgefüllt. ISO in die eine und Wasser in die andere. Viele sanken auf den Bänken und Stühlen darnieder. Ich wollte nur noch los. Schnell noch eine Cola und ich war wieder in der Nacht gefangen. Acht Kilometer sollte es noch sein. Neeeeeeee! Nicht mehr so weit.

Aber das bissl Forststraße und ein lockerer Jog durch Chamonix sollten machbar sein.

Nach dem letzten Zelt ging es erst einmal „kopfüber“, auf direkter Linie zur Forststaße hinab, um dann dieser weiter zu folgen. Ich lief auf der linken, steinarmen Seite. Doch was war das da vor. Ein Streckenposten? Mitten auf dem Weg? Es wies auf einen kleinen Trail abseits der Autobahn. Neeee. Mein Kopf spielte verrückt. Nicht nochmal in den Wald. Lass uns direkt nach Hause. Doch es war der Waldweg, der dir noch einmal die letzten, verbliebenen Kräfte rauben sollte. Meine Füße ein einziges Wrack. Jeder Schritt, jeder Sprung schmerzte. Und ich konnte es auch nicht ausblenden. Ich wollte es nicht, offenbar. War ich in La Flégrére als erster gestartet, war nun ein stetes überholen durch die Verfolger angesagt. Ein besonders lieber Zeitgenosse latschte mir dabei 2 Mal den Schuh von Fuß und pickste mit seinem Stock an die hintere Sohle. Einen haste immer dabei.

Ich war geschafft. Ich konnte nicht mehr. Der Wald musste ran. Ich schrieh den Wald an, was er hier für eine k… Weg in sich barg. Danach gings besser. 🙂

Füsse sind anders

Füsse sind anders

Der Weg wurde es irgendwann auch. Nun meldete sich, war ja eigentlich klar, auch noch die NAO zu Wort und blinkte ihr nahes Ende in den stock düsteren Wald. Na die hatte mir jetzt noch gefehlt. Wir liefen gefühlte Stunden stets Höhe haltend, oberhalb von Chamonix durch den Wald. Irgendwann musste es doch mal hier runter gehen? Der Tral wurde laufbarer, das Gehüpfe hatte ein Ende. Meine Fußsohlen quittierten mit Erleichteterung. Immer wieder blinkte die NAO im Wald umher. Ich musste die Batterien tauschen oder die Reservelaumpe rausholen? Ich wollte nicht, aber ich musste.

An einem Chalet mit vorgesetztem Picknickplatz kramte ich die Ersatzlampe raus, 60 Lumen waren der Witz aber auf dem geschotterten Weg machbar. Gleichzeitig schaltete ich mein Smartphone vom Flug in den Normalmode. Dabei sah ich erstmals, dass es 4:03 Uhr war. Ich war jetzt 19 Stunden unterwegs. Hammer. Eine supi Zeit würde erreicht werden. Alles unter 20 Stunden wäre ein Traum gewesen. Jetzt, knapp 3 km vor dem Ziel diese Anzeige: Vier Uhr und drei Minuten.

Sichtlich beflügelt lief ich mit meiner Lampe, die den Namen nicht verdiente, durch den Wald. Eine Seilbahnstation kam in Sicht. Wegweiser wurden gescannt, wo die wandermäßige Zeit nach Chamonix verzeichnet war. Ich musste dicht dran sein. Dicht dran am geilsten Zieleinlauf meines Läuferdaseins.

Ich sah Straßenlampen. Ich sah Asphalt. Ich sah diese Pfeile auf der Straße. Ich war endlich im Ort. Die Stirnlampe wurde auf rotes Licht geschaltet. Stop ich komme. Auch am Stadtrand des kleinen Ortes gab es Zuschauer, es gab klatschende Helfer, es gab Zuspruch. Ich hörte den Fluss. Ich schob die Laufstöcke zusammen. Zog die Sachen gerade. Ich war den Tränen nahe. Dann kamen sie gekullert. Es war nicht mehr weit. Ich kannte diese Straße, auf denen ich nun lief. Man konnte wieder pace sagen, wie ich mich bewegte. Ich bog in die Innenstadt ein. Auf der Laufstrecke ein Liefer-LKW. Egal. Wer soll mich jetzt noch stoppen 😉

Dahin wurden es mehr und mehr Zuschauer. Sehr ungewöhnlich, morgens halb 4 in Chamonix. Ich lief in Trance durch die Gasse in Richtung Ziel. Auch die wenigen Zuschauer machten mich Stolz. Stolz auf das richtig fette Ding.

Ja, der CCC ist eine andere Dimension. Der Lauf hier ist eine andere Welt und damit es nicht zu leicht wurde, gab es noch richtig fetten Regen.

Die letzte Kurze. Ich kann den Zielbogen sehen. Nummer grade rücken. Pace aufnehmen, Grade machen. Nach

19:28:04 Stunden

habe ich den CCC 2014 über 101 km mit +6100 Höhenmetern beendet. Mann war das ein Brett. Matze und Mathias als erste im Ziel. Ihr seid der Knaller!

 Zieleinlauf nachs halb 4 in Chamonix

Zieleinlauf nachts halb 4 in Chamonix

 

Ein bissl Statistik

Ein bissl Statistik

Ergebnisse gibts hier: ccc14 ergebnisse