Mein erstes Mal oder Achterbahn der Gefühle

Endlich lagen die Ferien mal so günstig, dass es mir möglich war, das Feeling bei der größten Trailparty der Welt persönlich zu spüren und noch wichtiger, das Nagetier beim UTMB zu supporten! Ich hatte schon so viel gehört, gesehen und gelesen, nun war ich ganz nah dran und nicht nur zu Hause vorm Hibbelboard!

Am Starttag verbrachte ich noch noch eine kurze Zeit in der Startaufstellung, das Gefühl dort ist überwältigend, die Anspannung deutlich spürbar. Wir standen wortlos, jeder in seinen Gedanken verloren, was die nächsten Stunden so passieren würde!? Dann schlich ich mich weg, mit guten Wünschen, einem Kuss, einer Umarmung, einem Kloß im Hals und feuchten Augen!

An der Strecke entlang des Starts standen die Leute schon lange dicht gedrängt, kein Durchkommen, so blieb mir nur der Blick auf die fette Leinwand! Meine Überraschung, in Les Bossons an der Strecke zu stehen, wurde durch eine Verspätung des Zuges vereitelt und auch ein Sprint konnte nix retten, ich sah das Nagetier nur von hinten! Den restlichen Läufern noch Applaus gespendet und dann… war da plötzlich große Leere. Wir hatten uns auf 2 VPs am Folgetag geeinigt, ich hatte das so hingenommen, seinem Wunsch nachzukommen. Ich wusste, dass durch den aufkommenden Verkehr es arg schwierig würde, gerade in der ersten Nacht, die VPs zu erreichen.

Ich wanderte langsam zum Chalet, packte die Sachen, die ich zum Support brauchte und zig Zeug, von dem ich annahm, es könnte helfen, ein, begleitend vom ständigen Blicken aufs Hibbelboard. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken, ich nickte immer mal weg…um kurz nach 4 entschied ich mich fürs Aufstehen, essen ist um diese Zeit auch so eine Sache…um kurz nach 5 wandere ich mit Stirnlampe in Richtung Stadt, Busse fuhren erst ab kurz vor 7, war mir zu spät und zu unsicher…weil man da noch so denkt, was ist, wenn der Bus schon voll ist oder im Stau vorm Tunnel steht, wenn das Nagetier schneller ist, auch was weiß ich, ich wollte los und war natürlich viel zu früh in Courmayeur.

Gut so…erstmal Kaffee, Lage checken, immer Applaus für alle und jeden! Das bunte Gewusel gefiel mir! Mittlerweile merkte ich auch, dass das Nagetier hinter dem Zeitplan lag, aber meines Erachtens alles im Lot! Ich sollte das Dropbag holen und in der Assistenzzone alles vorbereiten, das war mein Job, ich wollte ihn perfekt machen, aber man ließ mich nicht! Erst 10 min vor Ankunft des Läufers durfte ich da rein, in einen viel zu kleinen, von der Sonne aufgeheizten Vorraum, in dem ein heilloses Durcheinander herrschte und das Dropbag bekam nur der Läufer! Sprachunkenntnisse führten zu einer Menge Missverständnisse, von Beutel nicht da, Beutel schon wieder in Chamonix…So ein Dreck, alle Versuche meinerseits den Beutel vorher zu kriegen, scheiterten! Ich war völlig angefressen, so hatte ich mir das nicht vorgestellt.

Und dann kam das Nagetier und ein Blick verriet mir alles: das war nicht mehr der Trailrunner, den ich kenne, der sich so sehr selbst motivieren und kämpfen kann! Der Trailer, der sich akribisch, strukturiert und zielstrebig vorbereitet hatte, den ich auf vielen Läufen per Rad begleitet oder irgendwo abgeholt habe! Was war hier los? Er war völlig fertig, der Glanz in den Augen verschwunden, er wollte aufhören! Ich sprach wenig, ließ ihm seine Pause zum Überdenken…und konnte so wenig für ihn tun, dass es mir das Herz brach, darauf war ich hier noch nicht vorbereitet! Alles, was in meinem Rucksack war und der war voll und schwer, mochte er nicht, nur die halb vermatschte Birne…Die Dose mit Biermix trank er nur widerwillig, die Limo verschüttete er…um mich herum ähnliche Szenen, aber auch weinende Männer, am Ende ihrer Kräfte. Irgendwann rappelte sich Kersten wieder auf, ich half beim Umziehen und leider auch bei den Schuhen, ich hatte keine Ahnung, dass dies ein Megafehler war, den wir beide nicht bedachten! An die Strecke gehetzt, Kuss gegeben, schlechtes Gefühl versteckt!

Zurück nach Chamonix per Bus (30 min Fahrt hin, zurück dann schon deutlich länger wegen Stau), ich musste warten, so dass ich Zeit hatte, mit einigen, die dort aufgehört hatten, ins Gespräch zu kommen. Und so erfuhr ich vom Leiden vieler, der Hitze und der Härte der Strecke, „Safety and health first“ kam ganz oft. Der halbe Bus war voll mit Abbrechern, das gab mir zu denken. Und dann stehst du wieder da allein, keiner mit dem du dich wirklich austauschen kannst…

Als 2. Treffpunkt hatten wir Champex Lac ausgemacht! Im Nachhinein würde ich beim nächsten Mal alles mögliche unternehmen, irgendwie und öfter an die Strecke zu kommen…vielleicht hätte es etwas geändert, ich weiß es nicht! Die Fahrt nach Champex Lac eine kleine Weltreise von 2h, sehr kurvig, eine wunderschöne Landschaft, aber dafür hatte ich nicht wirklich ein Auge, ich fühlte mich so hilflos und meine Gedanken blieben immer nur bei Kersten! Und man hat da schon sehr komische Gedanken…Zu früh traf ich auch dort ein, ein netter Ort und hier konnte ich etwas durchatmen! Eine kleine Wanderung am See und 2h in einer netten kleinen Bar, wo man sich alle Mühe gab, mich aufzumuntern mit starkem Kaffee, leckerem Essen (das erste, was ich nach dem Frühstück zu mir nahm). Nebenher lief eine Reportage über 4 Leute, die den John-Muir-Trail gingen, das lenkte mich ab…bis das Megagewitter und der Regen kam. Was einem dann durch den Kopf schießt, brauche ich euch nicht zu sagen. Ich hatte Angst…

Irgendwann begab ich mich ins Zelt am VP. Einen kleinen Lichtblick gab es, als ich Bert, der fit aussah, in den Massen ausmachen und ihm alles Gute wünschen konnte. Ich starrte nur noch auf mein Handy und wartete auf ein Nachricht, eine Ewigkeit. Dann klingelte es, es waren noch 14 km zu mir, 14 km mit Gewitter! Das Nagetier redete einiges wirres Zeug und dass seine Füße ihm den Dienst versagten! Da sind 14 km eine riesige Hürde! Da hoffst du nur noch, dass alles gut geht, ein Schutzengel ein Auge auf ihn hat! Ich hatte versprochen, ihm möglichst weit entgegen zu gehen und ihn abzuholen! So stapfte ich bestirnlampt ins Dunkel der Nacht und es war extrem dunkel, ich kann mich aber an einen wunderschönen klaren Sternenhimmel erinnern. Dann blieb ich in the middle of nowhere stehen und spendete 2h lang Applaus und half bei der Wegfindung auf deutsch, russisch, spanisch oder englisch. Auch auf das, was ich hier sah, war ich so geballt nicht vorbereitet: verwirrte und kraftlose, stürzende Gestalten, die dankbar jede meiner Regungen aufnahmen. Einen konnte ich gerade noch bewahren, in den seitlichen Graben zu stürzen, einer lief fast vors Auto und left/right war auch nicht allen mehr klar! Danke an alle, die in ihrer Sprache irgendwas gemurmelt haben! 2h Stunden warten, wisst ihr, wie lange sich das ziehen kann…aber irgendwann muss er kommen, irgendwann wird er kommen! Und dann kam er, in einer Gruppe, nicht allein und er war ganz gut beisammen, abgesehen von Wortfindungsstörungen!  Noch nie in meinem Leben war ich so froh und zum Glück war es dunkel, die Tränen liefen ungebremst! Das letzte Stück gingen wir gemeinsam, seine Entscheidung, hier auszusteigen habe ich, wie auch an jedem anderen Punkt, wo er sich dafür entschieden hätte, voll akzeptiert. Ich empfinde es nicht als tragisch, dass mein erster Support bei einem Ultra mit keinem Zieleinlauf endete, ich bin trotzdem stolz auf meinen Läufer, der noch 50 km weiter gelaufen ist, nachdem er hinschmeißen wollte!

Trailrunning und der Körper sind auf 160 km nicht kalkulierbar!

Die Gefühlswelt fährt Achterbahn, für den Läufer und den Supporter.

Ich bin dankbar, dass ich auch diese Erfahrung mit dem Nagetier teilen durfte!

Jeder Zeit wieder!

Nachtrag:

Mache dich darauf gefasst, dass Plan A nicht funktioniert und lege dir einen Plan B oder C zurecht. Am mich hatte ich nicht gedacht, so dass mich eine dünne Laufhose, getragen unter der Shorts (sah grausig aus) vor der Kälte der Nacht rettete! In der Grenzregion kannst du in der Schweiz mit Euro bezahlen. Es hilft, andere Supporter einfach in ein Gespräch zu verwickeln. Mit Englisch kannst du dich überall verständigen! Ich habe fast ausschließlich viele freundliche und herzliche Menschen erlebt. Die Organisation der Busse lief bestens und nach Plan.

Worauf du dich nicht vorbereiten kannst, ist, wenn am Tag X einfach alle ungünstigen Faktoren für den Läufer zusammen treffen!